Ich habe gestern meine persönlichen Eindrücke zur re:publica veröffentlicht. Doch dieser Beitrag reicht mir nicht.
Zu viele Eindrücke verarbeite ich als re:publica-Neuling momentan noch. Und zu viele Fragen zur Konferenz re:publica schwirren mir durch den Kopf.
Laut Wikipedia ist eine Konferenz „eine Tagung für Wissenschaftler (z.B. Softwareentwickler oder Ingenieure), auf der diese ihre Arbeiten und Erkenntnisse vorstellen und untereinander diskutieren können.“ Vorstellen und untereinander diskutieren… Soso.
Passiert das tatsächlich auf der re:publica?
Erwartungen vs. Realität
„Das war ja jetzt eine ganz nette Präsentation. Aber war da jetzt wirklich etwas Neues bei?“
„Eigentlich habe ich in so ziemlich jeder Session gedacht, dass ich hier gerade vollkommen falsch bin. Aber die Überschriften und Zusammenfassungen im Programm haben mich zum Teil in die Irre geführt.“
So ähnlich habe ich es auf der re:publica gehört. Wann genau werden die Sessions eigentlich eingereicht? Kurz nachschauen – bis zum 31. Januar. Also über 3 Monate vor der Konferenz. Und das angesichts der Schnelligkeit der Entwicklungen im Onlinebereich. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele beim Einreichen ihrer eigenen Sessions dachten „Cooles Thema!“. Dann jedoch, beim Herannahen der re:publica, feststellen mussten: „Hm, irgendwie ist das jetzt alles auf einmal ganz anders bzw. nicht mehr sooo relevant. … Ach, egal.“
So werden also Vorträge eingeplant, welche vor 3 Monaten eine hohe Relevanz hatten – und dann auf der re:publica eventuell nur fürs große Gähnen sorgen.
In diesem Sinne fand ich es überaus konsequent von Johnny & Tanja Haeusler eben nicht ihr Buch „Netzgemüse“ vorzustellen. Wen dieses Thema sehr interessiert – der hat das Buch schon gelesen. Wen dieses Thema ein bisschen interessiert – der hat Rezensionen zum Buch gelesen. Und selbst wen das Thema gar nicht interessiert – der hat zumindest mitbekommen, dass es das Buch gibt und worum es geht. Absolut passender: ihr Rant (bzw. „im Quadrat kotzen“ – tolle Formulierung!) zum deutschen Bildungssystem. Den Finger auf die Wunde legen. Hinweisen, wo es hakt. Diskussionen anstoßen. Ja!
Problem dabei jedoch: Wer jetzt tatsächlich zur Stage 2 gekommen war, um etwas über „Netzgemüse“ zu hören – war im Zweifelsfall enttäuscht.
Ein schwieriger Spagat also zwischen Planung und Aktualität.
Einsteiger vs. Experten
„Ich komme hier eigentlich nur für die Leute her. Die Sessions brauche ich nicht.“
„Ich komme immer erst gegen Mittag aufs Gelände. Dann mit Leuten quatschen, Bierchen trinken. Ganz wichtig sind für mich die Abendveranstaltungen.“
Wenn ich das höre, dann könnte man all die Vorträge, Sessions und Workshops einfach weglassen (was auch jede Menge Organisationsaufwand sparen würde…) und stattdessen einfach ein großes Treffen mit Bier organisieren.
Warum liefert die Konferenz an sich für so viele offensichtlich keinen Mehrwert?
Ja, es ist schön Christine Heller/@punktefrau von ihrer Social Branding Kampagne reden zu hören. Oder Anne Wizorek/@marthadear über #aufschrei. Aber: das ist Vergangenheit (also nicht das #aufschrei-Thema an sich, aber die Aktionen). Man kann auch einfach darüber lesen. Aber braucht es hierfür eine Konferenz?
Besser empfang ich in diesem Rahmen beispielsweise die YouTube-Session von Bertram Gugel und Markus Hündgen: „Wer heute zur digitalen Avantgarde gehören möchte, braucht einen eigenen YouTube-Channel.“ In dieser Session war klar, dass der weitaus größte Teil der Zuhörer etwas Neues mit nach hause nehmen würde, dass ein Um- und Nachdenken anfing.
Genau, die digitale Avantgarde! Darum geht es hier. Und das heißt nicht, dass nur die digitale Avantgarde zur re:publica kommen soll. Aber die digitale Avantgarde sollte definitiv auf die Bühne.
Kurz: Ich erwarte von einer re:publica nicht eine Einstiegsveranstaltung zum Thema Social Media, Bloggen oder ähnliches. Ich erwarte auch nicht unbedingt Lösungen. Aber ich erwarte das Aufzeigen von Problemstellungen (siehe noch mal die Haeuslers), und zwar auch als Hausaufgabe für die Zuhörer. Und klar, gerne auch das Aufzeigen von Ideen, wie auf diese Probleme reagiert werden kann.
Diskussionen? Forget it!
Denn beim Bierchen oder Weinchen hinterher oder in den Gesprächen zwischendurch wurde sehr wohl diskutiert. In den Sessions klang es stattdessen oft wie folgt: „Oh, unsere Zeit reicht nicht mehr. Haben Sie noch eine Frage, die ganz kurz ist, idealerweise nur mit Ja oder Nein beantwortbar?“ Und selbst in den Workshops (hallo, WORKshops) wurden vor allem Vorträge vorgetragen.
Vorstellen und untereinander diskutieren…
In diesem Sinne war für mich die Session von Wibke Ladwig/ @sinnundverstand (von der es leider keinen Video-Mitschnitt gibt…) so toll: es wurden Denkanstöße gegeben. Über ein Viertel der Session-Zeit wurde für Fragen offen gehalten. Diese brachten neue Eindrücke, neue Sichtweisen. Denn letztlich ging es hier nicht darum festzulegen, eBooks sind Scheiße oder eBooks sind super, sondern es ging darum herauszuarbeiten, was Bücher (in welcher Form auch immer) zu leisten vermögen. Und das ist letztlich für jeden anders, abhängig von der eigenen Lebenssituation oder den eigenen Leseinteressen.
Über das Sammeln verschiedener Sichtweisen wurde in dieser Session Raum gegeben für das sich-selbst-Hinterfragen, aber auch für das Verständnis anderer Ansichten. Eine Session, die dazu bewegt, das Thema Buch weiter zu denken.
Aktuell sieht es meistens eher so aus, dass alle auf der Bühne einer Meinung sind. Wenn Modeblogger mit Modebloggern über Bloggernetzwerke und Authentizität diskutieren, ist das einigermaßen interessant. Wenn Modeblogger mit Reisebloggern und Techbloggern über Bloggernetzwerke und Authentizität diskutieren würden, bekäme das Ganze mehr Tiefgang, kann voneinander gelernt werden.
Kurz: Gerne mehr Meinungsvielfalt und mehr Diskussionen!
re:publica – und nun?
„Da sitzen dann alle in den Education-Sessions drin. Und allen ist klar, das geht so nicht, wie es gerade läuft. Da muss etwas anders werden. Und dann kommt man raus aus der Session…“
Problem: wie bringen wir, wir alle, die Diskussionen nach außen? Über unsere Social Media Kanäle und Blogs. Sprich: in der Netzgemeinde.
Es geht jedoch darum, auch die Leute ohne Twitter und Facebook (ja, die gibt es immer noch) mit ins Boot zu holen. Um beim Thema Education zu bleiben: die Lehrer und Direktoren, ebenso wie die Eltern. Oder meinetwegen im Tourismusbereich: es geht darum, den Bürgermeistern in den Städten und den Vorstandsvorsitzenden der regionalen Tourismusverbände die aktuellen Entwicklungen vor Augen zu führen. Und zwar auch außerhalb der Netzgemeinde.
Dazu zählt jedoch auch: die Nicht-Netzgemeinde in die Netzgemeinde hereinholen. Daniel Rehn hat das sehr schön als „Leidenschaft als Hausaufgabe“ formuliert. Den „Leuten da draußen“ klar machen, was es heißt, in den sozialen Netzwerken unterwegs zu sein.
Die re:publica bietet bereits einen guten Rahmen. Und ich möchte die re:publica hier auch nicht schlecht reden. Doch der Rahmen kann gut noch besser genutzt werden. Zur Problemidentifizierung. Zur Diskussion. Und damit letztlich auch zur Lösungsfindung.
Alle im Beitrag integrierten Plakate habe ich auf der re:publica fotografiert. Die Plakate selbst wurden von wortfeld.de erstellt.
